Es könnt‘ alles so einfach sein, wenn Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook nicht nur sagen würden, dass ihnen Privatsphäre und der Schutz sensibler Daten wichtig sind, sondern auch entsprechend handelten. Die strukturelle Diskrepanz zwischen selbsterklärten Präferenzen in Bezug auf Privatsphäre und gegensätzlichen Handlungen, die die Privatsphäre gefährden, wird als Privacy Paradox beschrieben.
Es gibt natürlich Situationen, in denen möchte man etwas veröffentlichen oder kommentieren. Je nach Beitrag oder Kommentar können auf einmal hunderte oder tausende anderer Nutzer einen Eindruck über die eigenen Ansichten oder politische Gesinnungen erhalten. Aber genau dafür sind soziale Netzwerke auch da. Man möchte etwas über andere erfahren und gibt dafür auch ein bisschen was von sich preis. Solange man die erwarteten Vorteile der sogenannten Self-disclosure (z. B. Netzwerkpflege, Aufbau von Sozialkapital, Online-Reputation) gegen die erwarteten Nachteile (z. B. Verlust von Kontrolle, Risiko von Datennutzung durch Dritte, Bedrohung) abwägt, trifft man immerhin eine einigermaßen überlegte Entscheidung.
Da soziale Netzwerke darauf angewiesen sind, dass Nutzer etwas von sich preisgeben, ist es nicht überraschend, dass die Netzwerke ihre Nutzer dazu bringen wollen, Informationen zu teilen – und das manchmal ganz schön manipulativ, so dass nicht immer eine überlegte Entscheidung getroffen wird.
Wir haben uns in einer kürzlich veröffentlichten Studie daher gefragt, ob es nicht auch einen anderen Ansatz geben kann, Nutzer zum Veröffentlichen von sinnvollen Informationen für das Netzwerk zu bewegen. Dafür haben wir drei Faktoren angeschaut, die in früherer Forschung als wichtig erachtet wurden, wenn Nutzer Informationen teilen: die wahrgenommene Kontrolle, das wahrgenommene Risiko und das Vertrauen in den Anbieter. Es liegt auf der Hand, dass man eher bereit ist, etwas von sich zu teilen, wenn man denkt, dass man dennoch die Kontrolle behält, das Risiko eines Missbrauchs gering einschätzt und generell dem Anbieter vertraut. In letzter Zeit haben durch Datenskandale wie bei Cambridge Analytics aber genau diese Faktoren gelitten.
Mittels Digital Nudging, das kleine Veränderung in einer digitalen Entscheidungsumgebung meint, die zu einer überlegteren Entscheidung führen sollen, könnten – so unsere Hypothese – die Faktoren Kontrolle, Risiko und Vertrauen verändert werden. Tatsächlich setzt Facebook nicht nur solche Elemente ein, die Nutzer dazu bringen soll, mehr preiszugeben. Es gibt auch einige wenige Digital Nudges, die helfen können, Kontrolle zu behalten, Risiko zu minimieren und Vertrauen zu steigern. In der Studie haben wir zwei solcher Digital Nudges über 380 Studienteilnehmern gezeigt und die Reaktionen analysiert.
Überraschend gab ungefähr die Hälfte der Studienteilnehmer an, die beiden Nudges noch nicht gesehen zu haben bzw. sich nicht daran zu erinnern. Dabei wurden zwei Nudges ausgewählt, von denen wir annehmen konnten, dass sie allen Nutzern mindestens einmal angezeigt wurden. Zudem haben wir statistisch analysiert, ob die Nudges, die zu mehr Privatsphäre verhelfen können, die Wahrnehmung von Kontrolle, Risiko und Vertrauen verändern. Es zeigte sich, dass kein statistischer Unterschied gemessen werden konnte, wenn die zwei Gruppen Nudges bekannt vs. Nudges unbekannt verglichen wurden. Durchdachte Nudges, die regelmäßig angezeigt werden, sollten – so die Annahme – zu einer höher wahrgenommenen Kontrolle, geringerem Risiko und/oder höherem Vertrauen führen. Verglichen mit den persuasiven Elementen, die zu mehr Preisgabe führen sollen, sind die Nudges allerdings auch unausgereifter, weniger überzeugend und nur selten zu sehen.
Zusätzlich haben wir gemessen, wie die Studienteilnehmer unmittelbar nach der Anzeige der zwei Nudges die Faktoren Kontrolle, Risiko und Vertrauen einschätzen. Verglichen mit den Antworten vor der Anzeige der Nudges zeigte sich, dass manche Faktoren sogar schlechter wahrgenommen wurden und damit einen gegenteiligen kurzfristigen Effekt hatten. Hier vermuten wir, dass die die Nudges, die das Thema Privatsphäre thematisieren, die Teilnehmer an mögliche negative Konsequenzen bzw. an die mangelnde Auseinandersetzung mit den Privatsphäre-Einstellungen erinnern. Folglich sind Nutzer kurzfristig sensibler und bewerten z. B. das Risiko höher.
Zusammenfassend werden Digital Nudges in dieser Studie nicht grundsätzlich als wirkungslos beschrieben. Vielmehr wird deutlich, dass der durchdachte Einsatz entscheidend ist. Es genügt nicht, die Nutzer einmalig auf die Privatsphäre-Einstellungen aufmerksam zu machen. Regelmäßige Hilfestellungen und Nudging-Strategien, die etwas persuasiver wirken, könnten den Überraschungseffekt reduzieren und einen nachhaltigeren Effekt haben. Auch wenn wir uns in dieser Studie mit dem öffentlichen sozialen Netzwerk Facebook beschäftigt haben, können ähnliche Ansätze auch in Unternehmen hilfreich sein.
Die Studie ist unter Kroll. T & Stieglitz, S. 2019. Digital nudging and privacy: improving decisions about self-disclosure in social networks. Behaviour & Information Technology erschienen. Link: https://doi.org/10.1080/0144929X.2019.1584644
Dieser Blogeintrag ist auch unter https://connected-organization.de/2019/04/privatsphaere-in-social-media-mit-digital-nudging-verbessern erschienen.