Wie entscheidet man “richtig”?

Eine wirklich spannende Vorlesung in Norwegen war “Decision Making and Judgement”. Wie werden Entscheidungen gefällt und verschiedene Optionen in bestimmten Situationen bewertet. Wir haben normative Modelle gelernt, d.h. Modelle, die beschreiben, wie man sich verhalten sollte. Wenn man zwei verschiedene Optionen zur Wahl hat, dann sollte man sich für die subjektiv bessere entscheiden. Klingt logisch. Logik spielt in normativen Modellen auch eine Rolle: Wer zum Beispiel Option B besser als Option A findet (B > A), und Option C besser als Option B (C > B), der muss eigentlich auch Option C besser als A finden: B > A, C > B => C > A. Aber das war nur ein kleiner Aspekt in der Vorlesung.

Befindet man sich in einer Situation, in der man nicht sicher weiß, wie ein Ergebnis ist, muss man die Ergebnisse mit Wahrscheinlichkeiten verbinden. Beispiele sind das Werfen einer Münze: Option 1) 2€ Gewinn auf jeden Fall; Option 2) 5€, wenn Kopf fällt. Der ein oder andere wird sich an den Erwartungswert erinnern: 2€ x 100% =2€; 5€ x 50% = 2,50€. Das heißt nun aber noch nicht, dass jeder Option 2 nehmen sollte. Die Wahl hängt letztlich von den eigenen Präferenzen ab: Wie viel ist 2€ wert, wie viel 2,50€? Wie risikoavers ist man?

Hier vermischen sich jetzt schon normative und deskriptive Modelle. Letztere beschreiben, was tatsächlich zu beobachten ist. Deskriptive Modelle versuchen außerdem zu erklären, warum vom normativen Modell abgewichen wird und zeigen, dass das auch rational geschehen kann.

Umfrage

Um die Klausur schreiben zu dürfen, mussten wir eine Gruppenabgabe anfertigen, in der wir eine bestimmte Wahl oder Entscheidung theoretisch beleuchten. Ich hatte auch hier gebeten, an einem kleinen Fragebogen teilzunehmen, daher interessiert euch vielleicht, was dabei herausgekommen ist. Das Grundproblem war die Wahl eines Mobilfunkanbieters, die manch einen (z. B. mich) doch ganz schön beschäftigen kann. Anderen ist es egal, ob sie nun wirklich den Günstigsten haben (= verschiedene Präferenzen).

Hier eine Auswahl der Ergebnisse: Am Anfang haben wir gefragt, wie die individuellen Präferenzen hinsichtlich der Kriterien PreisNetzqualität und Service sind. Zu jedem konnte 1 (für sehr unwichtig) bis 10 (für sehr wichtig) angegeben werden. Eine mögliche Kombination war: Preis (8), Netzqualität (6), Service (3). Danach haben wir abgefragt, wie vier verschiedene Anbieter für diese drei Kriterien bewertet würden. Um ungefähr gleiche Bedingungen zu schaffen, haben wir jeden Anbieter kurz textuell erläutert. Auch für die Bewertung der Anbieter wurde eine Skala von 1 bis 10 verwendet.

Das normative Modell sieht nun vor, dass man die Präferenzen mit der Bewertung kombiniert, indem einfach multipliziert wird. Starke Präferenzen (z. B. günstiger Preis) werden stärker gewichtet, als Faktoren, die weniger wichtig sind. Die Werte werden addiert und am Ende hatten wir für jeden Anbieter einen bestimmten Wert. Diese Berechnung lief im Hintergrund; Teilnehmer an der Umfrage haben den Wert nicht gesehen. Stattdessen wurden sie gebeten, sich nun für einen der vier Anbieter zu entscheiden. So konnten wir vergleichen, ob sie sich auch für den Anbieter entschieden hatten, den sie selbst durch Vergabe der Präferenzen und Bewertung der Faktoren als eigentlich beste Wahl hätten wählen müssen. Und die Mehrheit tat es nicht.

diagramm-1

Aber warum? In vergleichbaren Situationen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Menschen zwar vorher alles recht überlegt bewerten, bei der eigentlichen Entscheidung dann aber doch nur einen einzigen Faktor bewerten, z. B. Preis (Single-Mindedness). Dabei wird vernachlässigt, dass sie eigentlich auch z. B. der Netzqualität einen Wert zugesprochen haben.

Im weiteren Fragebogen haben wir immer kleine Situationen beschrieben, in der man sich für eine von zwei Optionen entscheiden sollte. So z. B. die Frage:

Anbieter X und Y haben exakt das gleiche Angebot für 20€, aber Anbieter X hat den Preis vor einer Woche erst von 30€ auf 20€ gesenkt. Welchen Anbieter würdest du wählen?

Natürlich ist es ein wenig gemein, hier keine Option”egal/beides gleich” anzubieten. Aber die Option gäbe in der Realität auch nicht.

diagramm-2

Wäre die Information mit der Preisänderung egal, würde man ungefähr eine 50/50-Verteilung erwarten. Ist sie aber nicht. Leute denken, dass das Angebot, das einmal teurer war, irgendwie besser sein muss, obwohl die Frage eindeutig von exakt gleichen Angeboten sprach. Der Effekt wird “Verankerung” genannt, weil man mit dem Referenzpreis von 30€ einen Anker setzt, der den Preis von 20€ viel besser erscheinen lässt. Das wird übrigens sehr gerne mit dem so genannten unverbindlichen Verkaufspreis des Herstellers (UVP) verwendet, um ein Angebot, das vielleicht gar keins ist, als solches darzustellen.

Mein Favorit war aber die folgende Frage bzw. das Ergebnis:

80% deiner Freunde haben einen Vertrag bei Anbieter X, der die gleichen Bedingungen hat wie Anbieter Y, außer dass Anbieter X eine schlechtere Netzqualität hat. Welchen Anbieter würdest wählen?

diagramm-3

Immer noch  1/3 hat sich für die objektiv schlechtere Wahl entschieden, nur weil die Freunde den gleichen Anbieter haben. Dabei hat die Informationen über die Freude keinerlei Auswirkung auf den Wert der beiden Optionen. Ich vermute, dass manche gedacht haben, sie bekämen Freiminuten oder ähnliches ins gleiche Netz. Aber das war in der Situation nicht gegeben und kann – in meiner Wahrnehmung – auch nicht als selbstverständlich angenommen werden. In der Theorie ist das der Herdentrieb. Wir fühlen uns besser, wenn andere (Freunde umso besser) das gleiche (erlebt) haben. Wir fühlen uns auch besser, wenn wir einen Schaden haben, aber wissen, dass ihn auch 80% andere Menschen haben. Dabei hat der Schaden im Prinzip die gleichen monetären Auswirkungen, egal ob auch andere ihn haben oder nicht.

Vielen Dank, wenn ihr an der Umfrage teilgenommen habt. Vielleicht haben euch die Ergebnisse überrascht, vielleicht auch nicht. Schlecht fühlen muss sich auf jeden Fall keiner. So wird zum Beispiel auch angenommen, dass der Körper eine Art Schutzfunktion hat, die ihn einen Schaden nicht so stark wahrnehmen lässt, wenn er ihn einfach mit dem Schaden von anderen vergleicht. Ich glaube, in manchen Bereichen kann man besser, “richtiger” oder geschickter entscheiden, wenn man ein wenig an solche Modelle denkt. Das zählt nicht nur für finanzielle Fragen, aber doch sehr stark. In anderen Bereichen ist Intuition und Gefühl aber mindestens genauso wichtig.